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Prolog
1. Quarantäne in Santiago de Chile
2. An Bord
3. Unter Wasser
4. Schwere Zeiten
Epilog
Weiterführende Literatur
Meine Reise auf dem Forschungsschiff Meteor in die verschlungene Fjordlandschaft Feuerlands war ein besonderes Erlebnis, das mir unvergessliche Eindrücke bescherte, mich aber auch die Widrigkeiten, die mit solchen Unternehmungen verbunden sein können, hart und gnadenlos spüren ließ. Bei Abenteuern so weit weg von zu Hause wird einem leicht bewusst, wie klein wir sind und wie groß unser Planet eigentlich ist, wenn es im schlimmsten Fall nicht möglich ist, innerhalb eines Tages wieder zu Hause zu sein. Obwohl es aus der folgenden Beschreibung nicht klar hervorgeht, waren etwa sechzig Personen aus verschiedenen Nationen und Instituten an Bord. Ich werde hier jedoch nur aus meiner Sicht berichten und lieber unsere Geschichte erzählen, als eine wissenschaftliche Abhandlung über unsere Aktivitäten zu verfassen. Sollten Sie an technischen Informationen über unsere Expedition interessiert sein, kann ich Ihnen einen Klick auf die am Ende aufgeführten Links nur wärmstens empfehlen. Nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen und eine gute Reise...
Es war Anfang Januar 2022, die weltweite Corona-Krise war noch lange nicht vorbei, und so durften wir nur mit einem negativen PCR-Test ins Flugzeug steigen. Wir näherten uns dem Flughafen von Santiago de Chile, wo unsere abenteuerliche Reise beginnen sollte.
Da die chilenischen Behörden die Situation sehr ernst nahmen, hatten alle Passagiere, die aus dem Ausland kamen, unmittelbar nach der Ankunft einem weiteren PCR-Test über sich ergehen zu lassen, noch bevor sie zum Gepäck und durch die Zollkontrolle konnten. Wir wurden dann sofort ins Hotel begleitet, in welchem wir uns in Selbstisolation begeben mussten, bis wir die Testergebnisse erhalten würden. Diese kamen glücklicherweise am nächsten Morgen, woraufhin ich mich zum Frühstück aufmachte und die frühmorgendlichen Strahlen der hier aufgegangenen Sommersonne genoss - bis ich jäh aus meinem morgendlichen Ritual mit Kaffee und Obst gerissen wurde.
Einer meiner Kollegen wurde am Flughafen dann doch positiv getestet, weshalb wir alle in unsere Zimmer zurückkehren mussten und niemand genau wusste, wie es weitergehen würde. Letztendlich verbrachten wir noch ein paar Tage in unserem recht komfortablen Hotelzimmer, bis wir unter strengsten hygienischen Bedingungen in ein Corona-Aufnahmezentrum in der Stadt verlegt wurden. Es war ein ehemaliges Hotel aus alten Zeiten. Einst nobel, bot es Unterkunft für die wohlhabenderen Leute in der Hauptstadt, jetzt nur noch ein Objekt, an dem die Spuren der Vernachlässigung deutlich zu erkennen waren und das zu einer medizinisch überwachten Seuchenstation umfunktioniert worden war. Hier verbrachten wir eine weitere Woche unter regelmäßiger physiologischer Beobachtung und äußerst miserablen Verpflegungsbedingungen, bis wir schließlich entlassen wurden... Moment, nicht alle von uns. Das Schicksal verschonte meinen Teamkollegen nicht. Obwohl er am Flughafen noch negativ getestet worden war, musste er sich in unserer Quarantäne angesteckt haben und wurde bei unserer Entlassung mit einem Positivergebnis aufgehalten. Auch unser Fall, wegen dem die Gruppe aufgehalten worden war, hatte ebenfalls keine Erlaubnis, weiterzureisen.
Santiago de Chile, auf dem Weg in die Innenstadt
Während wir unsere Reise nach Punta Arenas fortsetzen durften, durften sie für eine weitere Woche ihre Zimmer nicht verlassen. Wie hart kann es einen eigentlich treffen?
In Punta Arenas, der größten Ansiedlung im südchilenischen Patagonien, am Ufer der Magellanstraße, angekommen, erreichten wir endlich unser Ziel. Ohne weitere Zwischenstopps brachte man uns mit einem kleinen Lotsenboot zum Forschungsschiff Meteor, welches vor dem Hafen ankerte und auf dem wir in den nächsten Wochen arbeiten, leben und unserem Forschungsauftrag nachgehen würden.
Ich arbeite in der Polar- und Meeresforschung des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven. Meine Aufgabe ist es, die Entwicklung von ferngesteuerten Unterwasserrobotern und deren Einsatz auf Expeditionen zu koordinieren und durchzuführen. Auf dieser Fahrt interessierte uns die Besiedlung des Meeresbodens in der Magellanstraße, dem Beagle-Kanal, Kap Hoorn und den angrenzenden Fjorden. Ziel war es, eine Bestandsaufnahme des vorherrschenden Ökosystems durchzuführen und mit früheren Aufnahmen zu vergleichen, um Veränderungen im Laufe der Zeit zu dokumentieren und, wenn möglich, mit den sich ändernden Umweltbedingungen in Verbindung zu bringen.
Nun zurück zu unserer Expedition und unserem neuen Zuhause. Die Meteor ist ein mittelgroßes Forschungsschiff mit einer Länge von knapp 100 m, das Platz für etwa 28 Wissenschaftler und 32 Besatzungsmitglieder bietet. Wie viele der deutschen Forschungsschiffe erstrahlt der Rumpf in klassischem Blau, aus dem die weißen Aufbauten in die Höhe ragen. Die orangefarbenen Kräne, Rettungsboote und der Schornstein bilden einen auffälligen Kontrast zum Blau und Weiß. Das Deck ist in hellem Grün gehalten, offenbart sich dem Betrachter aber nur von Bord oder aus der Luft. Sie wurde in den 80er Jahren fertiggestellt, was man der etwas nostalgischen Einrichtung noch ansieht. Das Ambiente versprüht zwar den Charme eines popfarbenen Aliberts, ist aber nicht ungemütlich und bietet sogar einen gewissen Luxus.
RV Meteor
Ich brauchte einige Tage, um unsere Ausrüstung auszupacken, sie einzurichten und verschiedene Funktionstests durchzuführen, die für einen erfolgreichen Tauchgang unerlässlich waren. In einem kleinen Raum neben dem Arbeitsdeck konnte ich die Einsatzzentrale einrichten, ein Sammelsurium aus unzähligen Bildschirmen, auf denen verschiedenen Videobilder, Mess- und Navigationsdaten angezeigt werden, Computern zur Steuerung und Datenaufzeichnung, Videorekordern, Steuergeräten und Kommunikationseinrichtungen, um mit der Brücke und dem Arbeitsdeck in Verbindung zu bleiben. All dies wurde benötigt, um den Unterwasserroboter zu bedienen, den wir auf der Reise eingesetzt haben. Im Fachjargon werden diese Geräte geflogen und der Bediener wird daher als Pilot bezeichnet. Es handelt sich um ein ROV (Remotely Operated Vehicle), das ich für unsere Mission angepasst und modifiziert habe, eine ferngesteuerte Unterwasserdrohne, die Videobilder von vier Kameras liefert, Navigationsdaten zur Position und Orientierung bereitstellt und außerdem die Wassereigenschaften Temperatur, Druck, Salzgehalt, Sauerstoff, pH-Wert, Chlorophyll und Lichtintensität aufzeichnet. Außerdem verfügte sie über ein Sonar und einen Höhenmesser, um Hindernisse aus der Ferne schon frühzeitig erkennen zu können.
ROV-Kontrollzentrum
Für die Besatzung und meine Kolleginnen und Kollegen richtete ich mithilfe der Bordelektroniker und des Systemadministrators ein Videonetzwerk ein, sodass auf dem überdimensionalen Bildschirm im Trockenlabor ein Live-Bild der Unterwasseroperationen verfolgt werden konnte. Dies führte zu einer regelmäßigen Kinoveranstaltung, die mit Begeisterung angenommen wurde. Auch die Brücke wurde nicht vernachlässigt und mit einem Videostream aus dem ROV-Kontrollzentrum versorgt. Gespannt auf die ersten Bilder, erwarteten wir den ersten Tauchgang mit großer Neugier.
Die Meteor hatte den Hafen von Punta Arenas bereits verlassen und befand sich auf westlichem Kurs entlang der Magellanstraße. Nach ein paar Seemeilen bogen wir nach Backbord in einen der Fjorde ein, die als Sackgasse an einem Gletscher oder einem Gletscherbett enden, das hängt davon ab, wie stark und wie lange die steigenden Temperaturen an ihm genagt haben und wie das Verhältnis von Zuwachs durch Schneefall und seiner Schmelzrate ist.
Gletscherfront im Garibaldi Fjord
Eine atemberaubende Landschaft mit schneebedeckten Gipfeln, die mehrere tausend Meter in den Himmel ragen, die letzten Ausläufer der Anden, die sich von Norden her entlang der Küstenlinie durch ganz Chile ziehen. Teilweise steile Riesen mit fast senkrechten Wänden bilden Schluchten bis hinunter in die Talsohlen am Fuße der Fjorde. Ein Baldachin aus gleißend weißen Gipfeln und Graten geht in eine felsige und grasbewachsene Zone unterhalb der Schneegrenze über. Weiter unten im Tal erstrecken sich dichte Regenwälder bis zur Küstenlinie. Nur wenige Menschen, wenn überhaupt, hatten das Vergnügen, diese Landschaften zu betreten. An die Reling gelehnt, verspürte ich oft den Drang, einfach meinen Rucksack zu packen, in meine Wanderschuhe zu steigen und meinen Weg über Land fortzusetzen. Obwohl das Wetter so weit im Süden sehr wechselhaft ist, mit vielen Wolken, Nebel und Regen, gab es auch wunderbare Sonnentage, welche die Stimmung aufhellten. Hin und wieder bekamen wir Besuch von Robben, Walen und verschiedenen Vogelarten, die jeden von uns aufschreckten, und wer konnte, verließ für einen kurzen Moment die Arbeit, um unsere Gäste zu begrüßen. In der Einsamkeit der Nacht zog es mich oft an Deck, um den Moment der Stille und die Geräusche der Welt um uns herum zu genießen. Wenn alles still war, konnte ich dem Knistern der schmelzenden Eisschollen oder dem Rauschen und Plätschern der zahllosen Bäche und kleinen Wasserfälle lauschen…
Panoramablick auf die Fjordlandschaft von Feuerland
Schlucht am Rande des Fjordes Garibaldi
Der Ablauf einer Mission ist in der Regel immer derselbe, immer in der Hoffnung, dass alles gut geht und es keine unangenehmen Überraschungen gibt, die ich im Laufe meiner Arbeit als Pilot viel zu oft erlebt habe. Eigentlich gab es keine Expedition, bei der nicht irgendetwas schieflief, was mich meist für mehrere Tage und Nächte in die Werkstatt verbannt, um mit den begrenzten Möglichkeiten vor Ort eine vorläufige Lösung zu erarbeiten. Schließlich gibt es keine Möglichkeiten, Ersatzteile zu bestellen oder unterwegs liefern zu lassen, und ich muss mich allzeit mit dem begnügen, was ich vorher in den unzähligen Kisten verstaut habe. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass auch diese Reise keine Ausnahme sein und mir noch heftige Kopfschmerzen bereiten würde. Zu Beginn gab es jedoch keine nennenswerten Überraschungen, was für ein Forschungsinstrument, das gerade erst im Labor zusammengeschraubt und noch nicht getestet wurde, eher ungewöhnlich ist.
Der erste Einsatz: Das Arbeitsdeck ist eingewiesen, d.h. die Matrosen an Deck wissen, was zu tun ist, um alle notwendigen Schritte beim Aussetzen und Einholen des Roboters durchzuführen. Was draußen geschieht, wird vom Bootsmann, dem ranghöchsten Besatzungsmitglied an Deck, koordiniert und geleitet. Die Brücke bzw. der diensthabende Offizier wurde über den Einsatzplan informiert und hat seine Zustimmung gegeben. In seltenen Fällen gibt sich auch der Kapitän die Ehre und steuert das Schiff während eines Tauchgangs. Alle abschließenden Betriebstests wurden erfolgreich abgeschlossen und alle Systeme funktionieren wie erwartet. Die Seitenstrahler und der Propeller des Schiffes wurden abgeschaltet, sodass das Schiff nur mit der Strömung treibt und die relative Bewegung zwischen Schiff und ROV vernachlässigbar ist. Nach dem absolut notwendigen und unumgänglichen "Go" von der Brücke sind wir bereit zum Abtauchen.
ROV beim Aussetzten
Mit äußerster Vorsicht und Sorgfalt werden die Kräne und Winden in Gang gesetzt. Langsam hebt der Roboter ab und schwebt über die Reling auf das offene Meer hinaus. Sobald ein ausreichender Sicherheitsabstand zur Bordwand erreicht ist, kann das mobile Observatorium ins Wasser hinab gelassen werden. Nun beginnt der je nach Wassertiefe mehr oder weniger langwierige Abstieg in die Tiefen des Ozeans. In der Regel dauert der senkrechte Flug in Richtung Meeresboden etwa zehn bis fünfzehn Minuten, mit zunehmender Tiefe kann dies aber auch länger dauern. Je nach Artenvielfalt im Wasser rasen alle möglichen Objekte an der Kamera vorbei, meist Plankton oder der sogenannte Meeresschnee. Manchmal hat man Glück und ein Fischschwarm begleitete die Reise ein Stück weit in die ewige Dunkelheit des Meeres. Da die Wassertiefen oft nur vage bekannt sind und die Schiffs-eigenen Echolote nur eine gewisse Genauigkeit haben, erscheint der Meeresboden oft unerwartet im Videobild. Langsam wandelt sich das zunächst noch verwaschene Grau in klarere Konturen, die sich immer weiter dem Schein der Beleuchtung nähern und mit abnehmender Entfernung an Farbe gewinnen. Erst jetzt offenbart sich die Struktur des Bodens. Ist es weiches Sediment, ein schwieriges Terrain für sessile Organismen, die nur auf den wenigen Steinen Halt finden, die wie kleine Oasen in einer Wüste dem Leben eine Chance geben. Mobile Meeresbodenbewohner wie Krebse, Seesterne und Schnecken sind die einzigen Reisenden, die sich hier und da einen Weg durch den weichen Boden suchen. Solche Einöden entstehen entweder dort, wo sich Sediment aufgrund der Strömungsverhältnisse ablagern kann, vor allem aber dort, wo es von Bächen und Gletschern ins Wasser transportiert wird. Zum Teil weit oben in den Bergen, dort wo sich die Eisströme ihren Weg durch die Täler bahnen, schleifen die gefrorenen Süßwasserriesen unablässig an dem massiven Gestein und schicken das so entstandene Geröll auf die Reise in die Tiefen der Ozeane.
Ein völlig anderes Bild ergibt sich an den steilen Hängen der Fjorde, wo die feinen Sedimente keinen Halt finden oder von der Strömung mitgerissen werden. Dort blüht das Leben, solange genügend Nahrung aus Plankton oder anderen Nährstoffen aus den weiten Ozeanen herangeführt wird. Zahlreiche Vertreter der unterschiedlichsten Familien kämpfen um den raren Platz auf den Felsvorsprüngen. Ein Wald aus rosafarbenen Kaltwasserkorallen, blau leuchtenden Seegurken, gelben Schwämmen und vielen anderen Meeresbewohnern bieten Fischen, Krebsen, Muscheln und verschiedenen Arten von Schlangensternen Schutz. In den Tiefen, die nur noch von wenigen Sonnenstrahlen erhellt werden, bedeckt ein grün schimmernder Algenteppich die Metropolen der tierischen Siedler.
In den Randbereichen, die den Kräften des offenen Meeres ausgesetzt sind, wo Gezeitenströmungen, Brandung und windgepeitschte Meere den Takt vorgeben, fühlen sich Filtrierer wie Muscheln und Brachiopoden besonders wohl. Sie ernähren sich unermüdlich von den kleinsten Partikeln, welche die Gezeiten mitbringen. In der Nähe von Kap Hoorn, wo der Atlantik auf den Pazifik trifft, tummeln sich unzählige Krebse, die sich ebenfalls für die eher kleinen Nahrungsportionen des reich gedeckten Tisches interessieren. Mit viel Glück bekommt man gelegentlich einen seltenen Gast zu Gesicht, aber da die meisten Meeresbewohner uns Eindringlingen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen, trauen sich nur die Mutigsten unter ihnen an unsere Kamera heran.
Meine persönlichen Highlights waren kleine schwarze Oktopusse, die vor lauter Aufregung gleich große Tintenwolken absonderten, um ihren Aufenthaltsort zu verschleiern. Einen ausgewachsenen Homo sapiens konnten sie allerdings nicht täuschen. Zu ihrem Glück waren wir nur Beobachter, sodass sie nichts zu befürchten hatten. Ich war sehr erfreut, einen kleinen Hai und den eindeutigen Chef der Gegend, einen etwa zwei Meter langen Rochen, zu sehen, der völlig unerschrocken und unvermittelt das gesamte Kamerabild ausfüllte. Er kam so nah an unserem ROV vorbei, als wollte er uns zeigen, wer hier das Sagen hat. Ein kräftiger und beeindruckender Vertreter seiner Art, der eine Flügelspannweite von mehr als einem Meter gehabt haben musste.
Cap Hoorn
Mit diesen Eindrücken im Gepäck fuhren wir von Station zu Station durch die Magellanstraße, bogen nach Süden in den Beagle-Kanal ein und hielten unterwegs in Ushuaia, einer der südlichsten Städte der Welt. Während unserer Reise hatten es unsere beiden in Santiago zurückgebliebenen Kollegen geschafft, auf dem Landweg nach Argentinien und schließlich nach Ushuaia zu gelangen. Hier konnten wir sie endlich für die zweite Hälfte der Expedition abholen. Doch aus Ärger wurde Frustration und am Ende eine Katastrophe. Nur einer hatte es an Bord geschafft. Mein lang erwarteter Kollege und geplanter Kabinengenosse wurde noch vor dem Betreten des Schiffes erneut positiv getestet und durfte daher nicht an Bord gehen. Er musste unverrichteter Dinge nach Hause und nach Deutschland zurückkehren. Er tat mir so unendlich leid, eine anstrengende Atlantiküberquerung, mehr als zwei Wochen Quarantäne, eine Corona-Infektion, die mehrere tausend Kilometer lange Reise von Santiago de Chile nach Ushuaia, und dann doch wieder nach Hause geschickt. Soweit ich weiß, hatte er sogar mit Spätfolgen seiner Erkrankung zu kämpfen.
Route der Meteor auf der Reise M179/2
Wir stachen also ohne ihn in See, bis mich das Schicksal ereilte. Weit weg von jeglicher Zivilisation, am anderen Ende der Welt, erhielt ich die Nachricht, dass meine hochschwangere Lebensgefährtin mit Komplikationen ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Völlig erschöpft und aufgewühlt, wie eine unruhige Raubkatze in ihrem Käfig, drehte ich meine Runden auf dem Schiff und wäre fast durchgedreht. Mein tiefster Dank und Respekt gilt der Besatzung der Meteor, die alles getan hat, um mich mit Satellitentelefon, Internetverbindung, Kommunikationsprioritäten und seelischer Unterstützung zu versorgen, bis ich die erlösende Nachricht erhielt, dass sie nach Hause entlassen wurde, mit der Auflage, sich viel auszuruhen. Freunde und Verwandte haben dankenswerterweise meine Aufgaben übernommen und sich in meiner Abwesenheit um sie gekümmert. Herzlichen Dank dafür, ich werde euch das nicht vergessen. Selbst wenn ich direkt nach Hause hätte fahren können, wäre ich wahrscheinlich nicht früher angekommen. Corona-Maßnahmen, reduzierte und völlig überbuchte Flüge, ganz zu schweigen von der Entfernung zum nächstgelegenen Flughafen, hätten leicht zu einem noch längeren Abenteuer führen können. Also zurück zur Arbeit. Doch die nächste Katastrophe ließ nicht lange auf sich warten. Das Glasfaserkabel, die lebenswichtige Kommunikationsleitung unseres Roboters, wurde beschädigt und konnte mit den vorhandenen Mitteln vor Ort nicht mehr repariert werden. Die nächste Krisensitzung. Aber für fast jedes Problem gibt es auch eine vorübergehende Lösung. Nach einigen Tagen und Nächten voller Kopfzerbrechen konnte ich mit einem Ersatzkabel, einer zweiten Winde und zwei Umlenkrollen eine provisorische Lösung schaffen, die es uns zumindest ermöglichte, noch ein paar Einsätze zu absolvieren.
Nach Beendigung unserer Stationsarbeit liefen wir wieder den Hafen von Punta Arenas an und entließen etwa die Hälfte unserer Kollegen. Ich persönlich musste noch fünf Tage nach Montevideo weiter reisen, sodass ich genug Zeit hatte, alles wieder abzubauen und in den Containern zu verstauen. Jetzt war es Zeit, heimzukehren, denn nach so einer Reise kann man schon mal die Nase voll haben und will nur noch nach Hause zur Familie und seinem heiligen Platz auf dem Sofa.
Etwa einen Monat später wurde meine Tochter Marie Sophie gesund und munter geboren. In der Zwischenzeit hat sie mir so viel Freude bereitet und mir gezeigt, dass das Leben auch noch ganz andere Abenteuer bereithält. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, als wir Kap Hoorn umsegelten, sehe ich die Dinge heute mit anderen Augen. Trotz aller Entbehrungen, Strapazen und unvergesslichen Eindrücken war die Expedition im Grunde ein voller Erfolg, und wie so oft geht am Ende doch alles gut aus. Die Legende besagt, dass Seeleute, die das Kap von Südamerika umsegelt haben, sich nicht mehr vor der Königin verbeugen müssen. Aber Legenden sind auch nur Legenden...
Über das Forschungsschiff Meteor
Zu den wissenschaftlichen Daten empfehle ich das Datenarchiv Pangaea Stichwortsuche "M179/2" des Alfred Wegener Instituts
letzte Änderung am: 19 Oct 2023 08:53